Umgangsbefugnisse/Kindesentführung in Corona-Zeiten

1. Schulen und Kitas sind geschlossen. Viele Eltern arbeiten in Home-Office. So entstehen neue Belastungen. Gleichwohl ist erschreckend, wie häufig dabei über zunehmende Gewalt in der Familie geklagt wird, die sich vor allem gegen die Schwächeren richtet und Kinder auch dann besonders erschüttert, wenn sie sie nur miterleben. Viele Firmen beantragen für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit, die dann 60 % bzw. 67 % ihres bisherigen Nettoverdienstes von der Arbeitsagentur erhalten. Nicht alle Arbeitgeber können oder wollen aufstocken. Manche werden wohl ganz aufgeben müssen, insbesondere im Kleingewerbe oder der Gastronomie. So kommen finanzielle Sorgen noch hinzu.
2. Grundlage für Umgangsbefugnisse getrenntlebender oder geschiedener Eltern ist § 1684 BGB (bzw. § 1685 BGB für Großeltern oder andere „Bezugspersonen“ bzw. § 1686 a BGB für den leiblichen, nicht rechtlichen Vater). Allerdings können diese Rechte nicht ausgeübt werden, wenn zwingende Gründe entgegenstehen. Einzelheiten sind dabei, wenn bereits eine vollstreckbare Umgangsregelung besteht bzw. ein gerichtlich bestätigter Vergleich der Eltern vorliegt, im Rahmen von § 89 FamFG zu klären. Für Anträge, die nun gestellt werden und über die entschieden werden muss, werden ähnliche Überlegungen maßgeblich. Antragsgegner bzw. Vollstreckungsschuldner kann dabei
- der Sorgerechtsinhaber bzw. der Elternteil sein, bei dem das Kind hauptsächlich lebt,
- aber auch der Umgangsberechtigte.
Letztlich entscheiden Gesichtspunkte des „Vertretenmüssens“, die sich wiederum am Wohl des Kindes und an seiner Sicherheit zu orientieren haben (wenn § 89 Abs. 4 FamFG nicht unmittelbar Bezugsgrundlage ist). Vielleicht lässt sich daher unterscheiden:
a) Nachgewiesene Erkrankung des Kindes
Ist eine Erkrankung des Kindes durch den Corono-Virus nachgewiesen, aber keine weitere Absonderung oder Behandlung notwendig, ist so allein der Umgang des anderen Elternteils nicht ausgeschlossen. Auch sonst ist, insbesondere bei „Transportfähigkeit“ des Kindes, anerkannt, dass sich weitere Einschränkungen nicht ergeben, wenn nicht gerade durch die Ausübung des Besuchs eigene Gefährdungen entstehen können. Schließlich kann der Umgangsberechtigte – aber das muss dann tatsächlich auch so sein – das Kind ebenso gut betreuen wie der andere, bei dem das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat. Andererseits ist das hohe Übertragungsrisiko auf den Elternteil zu berücksichtigen, der das Kind besucht. Deshalb lässt sich zumindest vertreten, im Rahmen von § 89 Abs. 4 FamFG den umgangspflichtigen Teil zu entlasten, selbst wenn sich der andere selbst schützen kann (und sollte). Schließlich stehen immer noch eher überschaubare Zeiträume in Frage. Sorgen sind zumindest nachvollziehbar.
Sagt der besuchsberechtigte Elternteil Besuche ab, weil er insgesamt in Furcht lebt, kann er sich (wohl ebenfalls) entlasten. Schließlich ist die Erkrankung des Kindes nachgewiesen. Seine Behauptungen allein reichen aus, wenn er eigene Gefährdungen befürchtet. Was soll er sonst tun? Wiederum: letztlich dauert die Gefahr ja hoffentlich nicht länger an. Leben Großeltern in seinem Haushalt, muss er dafür sorgen, dass sie während der Besuchszeiten nicht anwesend sind. Auf die besondere Gefahren für sie kann er sich dann nicht berufen. Insoweit kann der verpflichtete Elternteil auch im Rahmen von § 89 Abs. 4 FamFG darauf bestehen, dass die verabredeten Verpflichtungen eingehalten werden. Schließlich muss er planen können.
b) Nachgewiesene Erkrankung des Besuchsberechtigten
Bei nachgewiesener Erkrankung des Umgangsberechtigten kann der verpflichtete Elternteil weitere Umgänge des Kindes verweigern, § 89 Abs. 4 FamFG. Schließlich kann und darf er nicht hinnehmen, dass das Kind gefährdet wird (schon gar nicht im Rahmen von § 1685 BGB, denn hier sind die Gewichte ohnehin anders zu verteilen). Deshalb trifft den umgangsberechtigten Teil die Verpflichtung, über seinen Gesundheitszustand aufzuklären, und, wenn Anhaltspunkte bestehen, vielleicht doch Atteste beizubringen, selbst wenn sie nur beschränkte Aussagekraft haben (und er sie beibringen kann, weil dies möglich ist, aber sich auf jeden Fall bemühen sollte – meinen Mandanten würde ich immer raten, dies zu tun, um die Sache zu entschärfen, denn schließlich wollen sie das Kind/die Kinder beim Umgang sehen, nicht in einem gerichtlichen Verfahren Recht haben, obwohl genau dies manchmal zweifelhaft ist). Ist der sorgeberechtigte Elternteil erkrankt, sollten sich beide so schnell wie möglich bemühen, gute und tragfähige Lösungen für das Kind zu entwickeln, etwa auch durch zeitlich befristete Betreuung durch den sonst besuchsberechtigten Teil, wenn dieser alles so einplanen kann. Dabei können die Eltern gerichtlich tätig werden, wenn keine Einigung gelingt,
- der Umgangsberechtigte durch entsprechende Anträge, auch im Wege der einstweiligen Anordnung, über die das Gericht so schnell wie möglich entscheiden sollte,
- der andere durch Anregung an das Gericht, entsprechend tätig zu werden, denn insoweit fehlen ihm eigene Antragsbefugnisse.
Erweiterte Umgangs-/Betreuungszeiten gegen den sonst nur Besuchsberechtigten lassen sich allerdings so weder „festlegen“ noch durchsetzen.
c) Freiwillige Quarantäne
Freiwillige Quarantäne erscheint zunächst besonders verantwortungsvoll zu sein. Nicht ganz selten kann sie aber auch die Absicht des Elternteils verdecken, mit dem das Kind lebt, das Umgangsrecht des anderen zu behindern oder zu vereiteln. Weitere Nachweise für sich muss er gleichwohl eher nicht liefern – er hat Angst, wird er sagen, und seine Befürchtungen reichen dann bei § 89 Abs. 4 FamFG aus, um ihn zu entlasten. Geht der umgangsberechtigte Elternteil während seiner Umgangszeiten in freiwillige Quarantäne, kann er das Kind nicht bei sich behalten und die Rückgabe an den anderen verweigern. Fallen für ihn Umgänge aus, ist das wohl eher seine Sache, aber wenn die Eltern einig sind, können die Fehlzeiten auch nachgeholt werden. Will ein Elternteil das Kind ohne Anordnung des Gesundheitsamts unter häusliche Quarantäne stellen, kann er sich nicht auf seine Befugnisse zur Regelung von Alltagsangelegenheiten berufen, sondern muss eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB herbeiführen, sonst: § 89 Abs. 4 FamFG.
d) Quarantäne nach § 30 Abs. 1 IfSG
Ordnet das Gesundheitsamt Quarantäne nach § 30 Abs. 1 IfSG an, fallen sonst festgelegte Umgänge aus,
- wenn die Anordnung gegenüber dem umgangsberechtigten Teil erfolgt, fast selbstverständlich,
- aber auch dann, wenn der sonst betreuende Elternteil betroffen ist.
Schließlich muss das Kind geschützt werden, vielleicht sogar durch weitere Maßnahmen. Bei längerer Dauer sollten sich alle Beteiligten bemühen, eine vermittelnde Lösung zu finden, die den umgangsberechtigten Teil seine Befugnisse lässt, das Kind aber nicht in Gefahren bringt.
e) Ausgangsbeschränkung/Ausgangssperre
Für Ausgangsbeschränkungen gelten zunächst die vom Bund und den Ländern vereinbarten Regeln, insbesondere der Neun-Punkte-Plan, vgl. dazu etwa im Internet (Corona-Plan von Bund und „vielen Ländern“). Dabei haben sich die Bundesländer zunächst an die Vorgaben des Bundes gehalten, haben dann aber auch für sich durchgehend weitere Anordnungen getroffen. Ausgangssperren im eigentlichen Sinne mit einer „angeordneten Quarantäne“ gibt es in Thüringen (Neustadt am Rennsteig) und für einige Gemeinden in Bayern, während im Landkreis Wunsiedel Menschen nur noch mit triftigen Gründen das Haus verlassen dürfen. Manche haben sich aber „nur“ der Bundesentscheidung angeschlossen, etwa Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Fast immer sind „triftige Gründe“ als Ausnahmen vorgesehen. Im Rahmen von § 89 Abs. 4 FamFG – oder für neu gestellte Anträge von voreherein als Maßstab – sind diese Regeln zu beachten. Selbst wenn (echte) Ausgangssperren eingerichtet werden, sollten Beschränkungen und Ausnahmen eingerichtet werden, gerade für Besuchsbefugnisse des umgangsberechtigten Elternteils mit dem Kind/seinen Kindern (oder auch für andere Berechtigte, für sie aber nur mit erheblich weitergehenden Vorbehalten), weil der Schutz von Ehe und Familie vorrangig ist und Ausfälle auf jeden Fall vermieden werden sollten, die dann auch längerfristige Folgen haben könnten. In Österreich ist das so geschehen. Falsche Bezeichnungen spielen keine Rolle, wenn in Verfügungen der Bundesländer vom „geteilten Sorgerecht“ die Rede sein sollte, nicht von der fortbestehenden gemeinsamen elterlichen Sorge der Eltern.
f) Betreuter Umgang
Besonders misslich ist, dass gegenwärtig die Einrichtungen, die sonst Umgänge begleiten/betreuen/beschützen, weitgehend ausfallen. Zumindest Notdienste sollte eingerichtet werden. Der umgangsberechtigte Elternteil (oder andere § 1685 BGB, diese allerdings nur mit erheblichen Einschränkungen), können sich dann, wenn eine Einigung untereinander nicht gelingt, an das Familiengericht wenden, um eine abweichende Regelung doch noch zu erhalten. Ob und wie sie dann durchgesetzt werden können, ist im Augenblick nicht absehbar. Schließlich sollte ein längerer Umgangsabbruch wie sonst vermieden werden. Gute Lösungen werden sich allerdings wohl nur selten finden lassen.
g) Reise mit dem Kind
Ist der sonst umgangsberechtigte Teil nicht auf die Einwilligung des anderen angewiesen, wenn sie vertretbar sind und in seine Umgangszeiten fallen. Ausnahmen bestehen nur dann, wenn sie für das Kind völlig ungeeignet sind, der Aufenthalt dort nicht kindgerecht erscheint, also etwa ein gefährlicher Segeltörn des abenteuerlustigen Vaters bei besonders ängstlicher Tochter (die vielleicht nur schlecht schwimmen kann), Taucherurlaub mit einem vierjährigen Kind, Motorradfahrt auf der Route 66 mit einem achtjährigen Sohn etc. (Urlaub in der Ostukraine, Ferien auf der Krim bzw. Reise nach Norditalien, Südspanien oder New York). Wohnen die Eltern weit auseinander und war für einen Besuch des Kindes bisher die Anreise mit dem Zug oder dem Flugzeug möglich, müssen sie sich über andere Möglichkeiten verständigen, denn so können besondere Gefahren drohen (oder die Bahnreise oder die Flüge fallen völlig aus, denn bisher waren Fluggesellschaften nicht unbedingt ein besonderes Vorbild).
h) Gerichtliche Verhandlungen
Gerichtliche Verhandlungen sind gegenwärtig weitgehend „ausgesetzt“, wobei jeder Richter für sich selbst entscheidet. In eiligen Angelegenheiten sollte aber gleichwohl in der üblichen Form und kurzfristig (Kindschaftssache, Vorrang- und Beschleunigungsgebot) terminiert werden, um eine Regelung zu erreichen und die Sache gerade für das Kind mit einem guten Ergebnis abzuschließen. Verhandlungen erst Ende Mai anzusetzen wie das teilweise gegenwärtig geplant ist erscheint mir dagegen doch sehr bedenklich (oder weitgehend verfehlt).
3. Rückführung des Kindes nach den Regeln des HKÜ
Ist ein Kind über eine internationale Grenze entführt, kann der verletzte Elternteil (oder ein anderer Sorgeberechtigter) im Zufluchtsstaat entsprechende Anträge zur Rückführung stellen. Liegen die Voraussetzungen im Einzelnen vor (internationale Kindesentführung), ist sie in dem Herkunftsstaat anzuordnen, wobei das Gericht im Zufluchtsstaat entscheidet. Wird das Kind allerdings in besonderem Maße gefährdet, wobei für die Mitgliedstaaten der europäischen Gesetzgebung (bzw. der VO Nr. 2201/2003) die Besonderheiten aus Art. 11 VO Nr. 2201/2003 gelten, kann die Rückführung auch abgelehnt werden, Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ, aber in dieser Form nur dann, wenn die Gefahren dort auf Dauer bzw. zumindest auf eine nicht eingrenzbare Zeit bestehen. Sonst kommt allenfalls eine vorläufige Anordnung in Betracht. Im Übrigen ist zu klären, wie die Situation im Herkunftsland im Einzelnen ist, welche Möglichkeiten der verletzte Elternteil dort bieten kann und wie die Behörden oder sonst zuständigen Stellen für das Kind in anderer Form sorgen, Maßstab wiederum Art. 11 VO Nr. 2201/2003, selbst wenn das andere Land kein Mitgliedstaat der VO Nr. 2201/2003 sein sollte und deren besondere Regeln eben nicht gelten. Ist die Entscheidung zur Rückführung bereits rechtskräftig, kommt eine – wiederum beschränkte – Aussetzung der Vollstreckung nach § 44 IntFamRVG. Inhaltliche Maßstäbe leiten sich dabei erneut aus § 89 Abs. 4 FamFG ab, wenn der Elternteil, der das Kind entführt hat bzw. nicht zurückgibt, gerichtliche Anordnungen missachtet.


Eingestellt am 07.04.2020 von Dr. Peter Finger
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