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Literatur - Veröffentlichungen
Zu einigen Fragen für die Einordnung familienrechtlicher Rechtsverhältnisse mit Auslandsbezug, für die die Vorschriften des dt. internationalen Privatrechts maßgeblich werden, vor allem aber für Einzelheiten bei der internationalen Kindesentführung, sind in letzter Zeit wichtige Entscheidungen ergangen, die ich in der Fachliteratur besprochen habe. Dazu zählen:
1. AG Hamm, FuR 2022, 225 mit Hinweisen auf die Informationen über fremdes Recht, die Richter bei uns in Deutschland in ihren Verfahren zur Rechtsanwendung im Ausland einholen können und Einzelheiten aus der Praxis erfahren, Grundlage einerseits Europäisches Justizielles Netz, Entscheidung des Rates v. 28.5.2001, 2001-470 EG, ABl. (EG) 2001 L 174 S. 25 mit ausführlichen Erwägungsgründen, bei uns mit einer Übersicht über die Kontaktstellen in § 73 ZRHO, zum anderen eine Gruppe von Richtern, die sich im Wesentlichen eher informell um die Haager Konferenz gebildet hat. Die Richterin in der Entscheidung des AG Hamm hat den zuständigen Verbindungsrichter in der Schweiz eingeschaltet, wobei sie die Vollstreckbarkeit einer schweiz. Entscheidung zu einer kindschaftsrechtlichen Frage klären musste, zu ihrem Vorgehen auch Art. 103 GG, BVerfG, FamRZ 2016, 26, denn wenn ein Gericht die entsprechenden Möglichkeiten nicht nutzt, kann darin ein Verstoß gegen diese verfassungsrechtliche Garantie liegen, sodass die Entscheidung angreifbar ist.
2. Im Internet kursieren inzwischen Hinweise, teilweise allerdings wohl eher unseriös, für „einfache“ Eheschließungen aus Deutschland im Ausland, wobei die Beteiligten erhebliche Erleichterungen für sich nutzen könnten. Nicht alles erscheint überzeugend. Dazu hat sich gerade der BGH geäußert, FamRB 2022, 46, wobei Eheleute aus Thüringen, die Meiningen nie verlassen haben, im Bundesstaat California Sur in Mexiko geheiratet haben. Dort können sie, ohne persönlich anwesend sein zu müssen, die Ehe schließen, doppelte Botenschaft, und auch für uns in Deutschland ist eine solche Verbindung als Ehe „wirksam“, da sie ausländischen Regeln folgt, die hierfür maßgeblich sind, Art. 11 EGBGB. Ob damit das letzte Wort gesprochen ist, erscheint mir aber nicht so sicher.
Im Übrigen sollte man wohl jedenfalls unterscheiden
- Botenschaft, denn insoweit ist die Form betroffen, und
- Stellvertretung, die inhaltlich zu beurteilen wäre, wobei dem „Vertreter“ vorbehalten bleiben soll, mit oder ohne Anweisung des Vertretenen eine Auswahl unter den Heiratspartnern zu treffen und danach dann zu „heiraten“, und genau das wäre unzulässig.
Letztlich wird maßgeblich, wo nun der „konstitutive Akt“ stattgefunden hat. Wären die Eheleute nach Mexiko gereist und hätten dort die Formerleichterungen in Anspruch genommen, die ihnen zur Verfügung stehen, wären keine Einwände aufgekommen. Ist das nun anders, weil sie in Deutschland geblieben sind? Wie weit reicht der dt. ordre public, Art. 6 EGBGB? Kritisch in der Zwischenzeit allerdings auch VG Düsseldorf, FamRZ 2022, 681 mit Anm. Wall. Auch El Salvador wird teilweise empfohlen. Die Kosten sind hoch, das sollte man auf jeden Fall berücksichtigen, bevor man sich für diese Version entscheidet. Im Iran ist die Ehe in „doppelter Botenschaft“ sogar dann zulässig, wenn nur eine Person auftritt, die dann für beide Eheleute handelt. Doppelte Botenschaft ist auch in manchen Bundesstaaten der USA für Armeeangehörige erlaubt.
3. Für eine internationale Kindesentführung hat sich das KG, FuR 2022, 105 mit der Frage zu beschäftigen gehabt, ob die Voraussetzungen im Einzelnen, die das zuständige Gericht bei seiner Entscheidung zur Rückführung des Kindes zu Grunde gelegt hat, noch bei der Vollstreckung vorliegen müssen, ähnlich in der Zwischenzeit auch OLG Frankfurt, NJW-RR 2023, 221 für einen Vater aus Connecticut, der ein Rückführungsverlangen durchgesetzt, dann aber lange Zeit gewartet hat, um endlich zu vollstrecken, und das OLG Frankfurt hat ihm vorgehalten, so habe er sein Kind einer besonderen Gefährdung ausgesetzt. Grundlage ist bei uns § 44 Abs. 3 IntFamRVG. Wiederholt der unterlegene Teil nur sein Vorbringen aus dem Streit beim Ausgangsgericht, ist keine nochmalige Überprüfung „notwendig“, aber wenn er nun neue wesentliche Gesichtspunkte vorbringt, ist das anders, weil auch die Vollstreckung noch „richtig“ sein und dem Wohl des Kindes entsprechen muss. Inzwischen stellt die VO Nr. 1111/2019 für den Ehegatten, der zur Rückführung des Kindes in das Herkunftsland verpflichtet worden ist, im Zufluchtstaat eine Reihe von Möglichkeiten bereit, die bisher nicht bestanden haben.
4. Das OLG Nürnberg, FuR 2022, 336 musste im Verhältnis des Ver. Königreich/Deutschland entscheiden, ob Erklärungen des Vaters, der wegen der Entführung der gemeinsamen Kinder durch die Mutter nach Deutschland bei uns ein Verfahren führte, als Einwilligung oder Zustimmung zum Verhalten seiner Frau anzusehen seien, die die Rechtswidrigkeit ausschließen würde. Davon ging das OLG Nürnberg aus, wobei einige Ereignisse aus der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, selbst wenn sie, von ihm abgegeben, schon längere Zeit zurückgelegen hätten. Denn er hat insbesondere an der künftigen Planung für die schulische Betreuung der Kinder in Deutschland mitgewirkt und Umgangsbefugnisse mit der Mutter vereinbart.
5. Bei dieser Gelegenheit ist vielleicht der Hinweis wichtig, dass im Rückführungsverfahren nach den Regeln des Haager Abkommens nicht etwa die Herausgabe der entführten Kinder/des entführten Kindes an den anderen, verletzten Elternteil „geschuldet“ ist und durch Gerichtsentscheidung angeordnet werden kann, auch wenn sie beantragt ist, denn der Entführer ist lediglich verpflichtet, das Kind zurückzubringen, wobei er auch „mitgehen“ kann, ohne dass das Gericht ihm Anweisungen geben muss (oder kann). Dann entscheidet er darüber, wie der weitere Aufenthalt im Herkunftsstaat im Einzelnen aussehen mag. Führt er dort dann ein Verfahren, das die elterliche Sorge regeln soll, kann er erhebliche Vorteile für sich erzielen, wobei allerdings zunächst die Frage der internationalen Zuständigkeit für die Gerichte dort zu klären ist. Denn er hat weiterhin das Kind in seiner Obhut, wenn nicht etwa im Eilverfahren eine andere Regelung ergeht oder ergangen ist. Grundlage für die Sorgerechtsregelung im Ausgangsstaat war bisher Art. 10 VO Nr. 2201/2003, ab August 2022 ersetzt durch Art. 9 VO Nr. 1111/2019 (ohne sachliche Änderungen).
6. Die Eheleute haben im Libanon geheiratet, haben dann aber ihre Eheschließung in Spanien wiederholt. Für die spanische Heirat hat die Ehefrau, die sich nun in Deutschland aufhält, die Ehescheidung beantragt. Lebt sie in unzulässiger Doppelehe, dazu KG, FuR 2022, 335? Wie wäre die richtige Antragstellung? Auf welche Ehe muss sich die Ehefrau beziehen, die geschieden werden will? Zweckmäßig ist wohl, beide zu erfassen. Zu beachten ist allerdings, dass die zweite Eheschließung nicht in Deutschland liegen sollte, etwa um hier dann von einem jedenfalls gültigen Abschluss ausgehen zu können, auch wenn so die Schwierigkeiten des Anerkennungsverfahrens nach §§ 107 ff. FamFG umgangen werden sollen. Für die Ehe in Spanien ist zunächst zu prüfen, ob sie nach spanischem Recht Bestand hat. Verboten ist auch dort die Doppelehe. Also ist die weitere Frage zu klären, ob die Ehe im Libanon wirksam gewesen ist und der späteren Heirat in Spanien entgegenstand. Mit guten Gründen geht das KG davon aus, dass lediglich die Eheschließung mit einem Dritten „untersagt“ sei, nicht die Wiederholung der getroffenen Zusagen untereinander. Wegen der sonstigen Unklarheiten sollte das Gericht in seiner Begründung deutlich auf diese Zusammenhänge hinweisen und auch festhalten, dass keine „unzulässige“ Doppelehe vorliege. OLG Stuttgart, 17 UF 186/22, musste über einen Rückführungsantrag eines Vaters in der Ukraine entscheiden, dessen Ehefrau, die Mutter des Kindes, mit der gemeinsamen Tochter nach Deutschland geflohen war/ist. Wegen der Kriegsgefahr dort, und eben nicht nur in der Ostukraine, hat das OLG die Rückführung abgelehnt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Vater vorschlug, die Mutter solle mit dem Kind nach Moldawien „kommen“, denn dort hat er sich nicht aufgehalten (einmal abgesehen von der Tatsache, dass die Rückführung eines Kindes in ein drittes Land, in dem vorher die Beteiligten nicht gelebt haben, ohnehin problematisch ist).
7. In FuR 2022, 221 habe ich über den gegenwärtigen Stand des Haager Abkommens zur internationalen Kindesentführung berichtet. Dabei habe ich umfangreiche Rechtsprechung nachgetragen und Fachliteratur angefügt. Im August 2022 ist die VO Nr. 1111/2019 in Kraft getreten, die die frühere VO Nr. 2201/2003 ersetzt. Die allgemeinen Regeln für die internationale Zuständigkeit im Scheidungsverfahren und in kindschaftsrechtlichen Angelegenheiten ändern sich nur in geringem Umfang. Jetzt ist in Art. 65 f. VO Nr. 1111/2019 eine Regelung vorgesehen, die für die Anerkennung ausländischer Privatscheidungen aus den Mitgliedstaaten – etwa Italien oder Frankreich, aber auch Spanien – zur Anerkennung „ohne Weiteres“ führen kann, wie es sonst für Entscheidungen im Anwendungsbereich der VO Nr. 2201/2003 vorgesehen ist oder war, inzwischen für Italien BGH, FamRZ 2023, 21 mit Anm. Dutta, auch Antomo, FF 2022, 197. Im Übrigen enthält die VO Nr. 1111/2019 eine Reihe von Vorschriften, die sich auf die internationale Kindesentführung beziehen, während die VO Nr. 2201/2003 dazu wenig gesagt hat. Über den Stand der Dinge und darüber hinaus gebe ich eine Übersicht über die neuen verfahrensrechtlichen Regeln, die ab August 2022 im dt. IntFamRVG vorgesehen sind, insbesondere §§ 44a ff. IntFamRVG.
Eingestellt am 26.05.2023 von Dr. Peter Finger
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