Hinweise auf wichtige Entscheidungen zum internationalen Familienrecht
Im Nachgang zu meinen letzten Hinweisen auf wichtige Entscheidungen zum internat. Familienrecht darf ich folgende Ergänzungen anbringen:
1. Für Unterhaltsansprüche mit Auslandsbezug, aber in Deutschland bestehenden internat. Zuständigkeiten, gelten verfahrensrechtl. zunächst die Regeln der europ. Unterhaltsverordnung. Sie lassen dem Gläubiger die Wahl zwischen den Gerichten an seinem eigenen gewöhnlichen Aufenthaltsort und/bzw. dem am gewöhnlichen Aufenthaltsort des anderen Teils. Maßgeblich ist für die Rechtsanwendung dagegen das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Berechtigten. Lebt Marianne, Kind von Karin und Klaus, also in Deutschland, ist der Vater später aber umgezogen, etwa in die Schweiz, kann die Mutter stets für sich entscheiden, ob sie für die Tochter in Deutschland ihre Forderung stellen will oder in der Schweiz, vielleicht um dort günstigere Ergebnisse zu erzielen (manchmal ist es aber auch umgekehrt, sodass alle Gesichtspunkte abzuwägen sind). Anwendbar ist jedenfalls dt. Unterhaltsrecht. Doch sind Bezugspunkt die vielleicht besseren Einkünfte des Vaters, dazu ausf. Finger, FuR 2022, 622 (mit ausf. Übersicht über die sonstige Rechtspraxis), wobei für die Schweiz von einem höheren Verdienst auszugehen ist, allerdings eben auch von höheren Lebenshaltungskosten, die dann zu berücksichtigen sind (und Selbstbehalte sind ebenfalls anzupassen), zu der Bemessung nach der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums Streicher, Familiensachen mit Auslandsberührung, 3. Aufl. 2019, § 4 Rz. 295, zur Berücksichtiung der Währungsparitäten anhand der Daten des Statistischen Amtes der Europ. Union Rz. 301, zudem die Empfehlungen des Deutschen Familiengerichtstages, FamRZ 2011, 192; Hauß, FamRBint 2013, 102 und OLG Karlsruhe, FamRZ 2017, 282; davor OLG Oldenburg, FamRZ 2013, 891.
2. Werden die Regeln des HUP (Haager Unterhaltsprotokoll) anwendbar, sind einige Besonderheiten zu beachten, insbesondere bei getrenntlebenden Eheleuten und geschiedenen Ehegatten. Mitglied des HUÜ 2007 sind in der Zwischenzeit auch die USA, während die Auswirkungen im Verhältnis zur Türkei immer noch unklar sind, die dem HUÜ 2007 beigetreten sind, aber nicht dem HUP, Übersicht bei Streicher, Familiensachen mit Auslandsberührung, 3. Aufl. 2019, zum HUP und dem HUÜ 1973 im Verhältnis zur Türkei vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2017, 1491 und OLG Stuttgart, FamRZ 2014, 2005, zudem Streicher, Familiensachen mit Auslandsberührung, 3. Aufl. 2019, § 4 Rz. 242 mit Nachw. Bisher waren geschiedene Eheleute auf das Recht verwiesen, das das Gericht bei der Ehescheidung tatsächlich angewandt hat, Art. 18 Abs. 4 EGBGB (inzwischen aufgehoben), insoweit als inländische Umsetzung des Haager Unterhaltsübereinkommens 1973. Für die Schweiz bleibt weiterhin das HUÜ 1973 maßgebliche Grundlage, dazu BGH, FamRZ 2019, 1366.
3. Bei Unterhaltsansprüchen unter Eheleuten, die sich zunächst nach dem Aufenthaltsrecht des Anspruchstellers richten würden, stellt Art. 5 HUP (Haager Unterhaltsprotokoll) eine Einrede bereit, sodass die Beteiligten also – das gilt für den Antragsteller, aber auch für den Antragsgegner – so nach ihren Erklärungen bei Gericht „das Recht eines anderen Staates“ zur Anwendung bringen können, insbesondere des Staates des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsorts der Eheleute, wenn dieser zur Ehe eine engere Verbindung aufweist, dazu BGH, NJW 2022, 2403, wobei sämtliche Umstände des Einzelfalls zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen sind, ausf. Anm. Yassari, NJW 2022, 2372. Was ist entscheidend? Wo war wirklich der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse?
4. Art. 3 HUP (über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht) kann auch auf das Recht eines Staates verweisen, in dem ein Kind widerrechtlich nach Kindesentführung zurückgehalten wird, dazu EuGH, NZFam 2022, 736. Damit ist nicht etwa die „Anerkennung“ eines rechtskräftig geschaffenen Zustandes verbunden. Vielmehr knüpft Unterhaltsrecht nur an die tatsächlichen Veränderungen an, die nun einmal eingetreten sind, und die ja auch durchaus zu höheren Unterhaltsansprüchen des Kindes bzw. des verletzen Elternteils führen können, der für das Kind tätig wird.
Eingestellt am 26.05.2023 von Dr. Peter Finger
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