UMZUG MIT DEM KIND

Zur Ergänzung meines Berichts auf meiner Seite weiter oben darf ich auf Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts hinweisen, die auch für uns von Bedeutung sind:
a. BG, Entscheid vom 11.8. 2016, 5a_581/2015, veröffentlicht in (schweiz.) Praxis des Fami- lienrechts und (auch) zu finden auf der Seite des Schweiz. Bundesgerichts. Dort heißt es: Hat der Wechsel des Aufenthaltsortes erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung des Sorge- rechts oder auf den persönlichen Verkehr, ist die Zustimmung beider Eltern oder ein Ent- scheid einer Behörde oder des Gerichts erforderlich. Von „erheblichen Auswirkungen“ ist insbesondere dann auszugehen, wenn das bisherige Betreuungsmodell nicht mehr in unverän- derter Form, gegebenenfalls mit geringen Anpassungen, ausgeübt werden kann. Beim Ent- scheid über eine Wegzugsbewilligung ist entscheidend, ob das Wohl des Kindes besser ge- wahrt ist, wenn es mit dem wegzugswilligen Elternteil mitgeht oder wenn es sich beim zu- rückbleibenden Elternteil aufhält. Dabei bildet das bisherige Betreuungsmodell den Aus- gangspunkt der Überlegungen. Aufgrund der Interdependenz zwischen dem künftigen Be- treuungsmodell und der Bewilligung des Umzugs müssen auch die Konturen des Wegzugs bekannt sein.
Der Umzug betrifft einen Ort in der Nähe von Interlaken nach Solothurn, etwa 100 km, eine Entfernung, für die ohne Weiteres Besuche möglich sind. Allerdings betont das Gericht, dass (gleichwohl) erhebliche Auswirkungen entstehen, wenn nicht nur ein solches Besuchsrecht zwischen den Beteiligten festgelegt ist, sondern ein anderes Betreuungsmodell, also mit be- stimmten Betreuungsanteilen, die über Besuchskontakte hinausgehen, bei uns: Wechselmo- dell. Gleichmäßige Verteilung ist allerdings nicht notwendig.
b. BG, Entscheid vom 7. Juli 2016, 5a_945/2015, ein Umzug, bei dem die Mutter mit ihrer Tochter aus dem Kanton Bern nach Spanien umziehen wollte, Provinz U. Sie hat nicht die spanische Staatsangehörigkeit. In der Ferienzeit hat sie dort eine Partnerin kennengelernt und mit ihr bisher in einer „Fernbeziehung“ gelebt, sodass die Verlegung des Wohnsitzes nach Spanien als „risikohaft und instabil“ angesehen werden könnte. Die Tochter kann kein Spa- nisch. Sie wollte in der Schweiz bleiben.
So hat das BG dann auch entschieden – Überlegungen zum Kindeswohl sprächen überwie- gend „zugunsten eines Verbleibs des Kindes am bisherigen Ort“.
c. BG, Entscheid vom 11.3.2016, 5a_450/2015. Die Mutter will mit den Kindern (wohl) von St. Gallen nach Graz in Österreich umziehen. Ihre Entscheidung hält das BG für „begründet“, weil sie sich aus dem Kindeswohl rechtfertigen lässt. Dabei sind, und das erscheint mir be- sonders wichtig, folgende Richtlinien maßgeblich, die bisher bei uns kaum eine Rolle gespielt haben:
– Zunächst erwähnt das BG die Washingtoner Erklärung, Washington Declaration on Interna- tional Family Relocation, die von einer internationalen Richterkonferenz im März 2010 ver- abschiedet worden ist und einen Katalog von Entscheidungskriterien enthält, die für den beabsichtigten Umzug wesentlich werden können, vorrangig Kindeswohl, beeinflusst durch den Erhalt der Rechtsbeziehungen zu beiden Elternteilen, Wünsche des Kindes, Vorschlä- ge der Eltern, Gründe für den Wegzug, die ein Elternteil angeben kann, Kontinuitätsge- sichtspunkte bei der Erziehung, vorbestehende (heißt: vorher praktizierte) Sorge- und Um- gangsrechtsregelung, Vollstreckbarkeit der Vereinbarung und Mobilität der Familienmitglie- der, wobei betont wird, dass zwischen diesen ausdrücklich Gesichtspunkten ausdrücklich kei- ne „Hierarchie“ bestehen soll, aber das Kindeswohl ist besonders wichtig und wird prägend,
– die Empfehlung des Europarates vom Mai 2011 betreffend Kinderrechte, Recommendati- on on the rights and legal status of children and parental responsibilities,
– schließlich ein Vorbericht, im Januar 2012 vom ständigen Büro der Haager Konferenz ver- öffentlicht, der sich im Wesentlichen an die Washingtoner Erklärung anschließt.
Dabei hatte das BG(ch) auch zu berücksichtigen, dass der Vater nur eine Ausdehnung seines Besuchsrechtes verlangt hat, denn er war selbst offensichtlich selbst der Auffassung, dass er eine angemessene Versorgung des Kindes nicht gewährleisten kann. Besuche werden durch den Umzug der Mutter schwieriger, aber das lässt das BG nicht schon für sich gelten, denn sie können anders gestaltet werden als bisher (alle 14 Tage kommt eben nicht in Betracht, denn die Entfernung ist zu groß).
Ähnliche Erwägungen sollten die Gerichte auch bei uns anstellen, Vorrang des Kindeswohls, wobei allerdings auch die sonstigen Beziehungen zwischen den Beteiligten bewertet werden müssen. Falsch erschiene mir jedenfalls, Müttern gerade mit Kindern im jüngeren Alter prak- tisch stets die Entscheidung darüber zu überlassen, wo sie leben wollen, denn auch dabei sind abweichende Lösungen möglich, die das Kind und den Vater schützen. Zumindest müssen sie, die Mütter, nachvollziehbare Gründe angeben können, die sich unter dem Blickwinkel des Kindeswohls rechtfertigen und sich auf die weitere, gute Entwicklung des Kindes beziehen müssen, dabei ist die Lebenssituation der Mutter am „neuen“ Ort ebenfalls zu bewerten und Ergebnisse dabei müssen in die Entscheidung des Gerichts einbezogen werden. Sonst würde § 1628 BGB keinerlei Rolle mehr spielen.



Eingestellt am 29.01.2017 von Dr. Peter Finger
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