INTERNATIONALE KINDESENTFÜHRUNG


Für die internationale Kindesentführung wird unter den Mitgliedsstaaten, und eben nur unter ihnen, das Haager Abkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung maßgeblich. Dabei bleibt die Staatsangehörigkeit der Beteiligten ohne Auswirkungen. Vielmehr wird der gewöhnliche Aufenthaltsort des Kindes entscheidend. In jüngster Zeit sind einige wichtige Gerichtsentscheidungen ergangen, auf die ich hinweisen möchte. Meine ausführliche Kommentierung zum Abkommen ist im Übrigen auf meiner Seite unter 7.9 zu finden. Über den gegenwärtigen Stand der Dinge berichte ich in einer Arbeit, die in der Zeitschrift „Familienrechts-Berater“ 2016 in einem der ersten Hefte erscheinen wird, in der ich auch zu weiteren Fragen Stellung nehme, die bei derinternationalen Kindesentführung immer wieder eine Rolle spielen können.

1. Entführt ein Elternteil oder eine sonst sorgeberechtigte Person ein Kind aus einem Mitgliedsstaat in einen anderen und verletzt dabei Sorgebefugnisse eines anderen (auch Mitsorgebefugnisse), ist der „Entführer“ grundsätzlich zur Rückführung verpflichtet, wenn nicht einer der Ausnahmetatbestände des Abkommens eingreifen, insbesondere Art. 13 HKÜ. Danach kann die Rückführung (auch) abgelehnt werden, wenn ein Kind, das ausreichend einsichtsfähig ist und sich ausdrücklich widersetzt, wobei allgemeine Erklärungen, bei dem neuen Partner im Zufluchtsstaat sei es „schöner“, und die Freizeitmöglichkeiten seien dort eben besser, nicht ausreichen sollten, anders allerdings OLG Hamburg, NZFam 2015, 843 (bei außergewöhnlich langer Verfahrensdauer, für die letztlich beide Elternteile verantwortlich waren). Meist wird angenommen, dass ein Kind die Dinge selbst beurteilen kann und nicht von den Eltern zu sehr beeinflusst wird, das mindestens 10 Jahre alt ist, vielleicht aber auch 13, „Alterskorridor“, dazu BG (CH), FamPra (CH) 2015, 751 für Mexiko (wobei die politische Situation dort je nach Bundesstaat unterschiedlich eingeschätzt wird; in baja california seien keine größeren Gefährdungen für das Kind bei einer Rückführung zu erwarten, etwa durch Banden, die Kidnapping betreiben, so das schweizerische Bundesgericht, aber das könne in anderen Gegenden anders sein, wobei ausdrücklich Acapulco genannt wird).
2. Wird der Antrag auf Rückführung beim zuständigen Gericht im Entführungsstaat später als ein Jahr nach der Entführung gestellt, kann die Rückführung abgelehnt werden, wenn sich das Kind in der neuen Umgebung eingelebt und dort neue, wichtige Verbindungen eingegangen ist, Art. 12 HKÜ. Entscheidend ist die Antragstellung bei Gericht. Nicht ausreichend ist, wenn sich der verletzte Elternteil bei der Zentralen Behörde in seinem Staat oder im anderen Staat wendet, die sonst für die Vermittlung und Unterstützung bei der Rechtsverfolgung zuständig ist, in Deutschland das Bundesamt der Justiz in Bonn, dazu AG Frankfurt, 465 F 11315/12 HK, bestätigt durch OLG Frankfurt, 1 UF 345/12.
3. Wird die Rückgabe des Kindes angeordnet, muss der verpflichtete Elternteil „lediglich“ in das Herkunftsland zurückkehren. Dort kann er abwarten, wie die endgültige Entscheidung über die elterliche
Sorge ausfällt, Art. 16 HKÜ mit besonderen Zuständigkeiten bei den Herkunftsgerichten, nicht bei den Gerichten im Zufluchtsstaat. Das wird häufig falsch gesehen, weil die Vorstellung verbreitet ist, dass „Übergabe“ an den verletzten Elternteil zu erfolgen habe, ausdrücklich richtig und eindeutig in diesem Zusammenhang AG Düsseldorf, 158 F 93/14, bestätigt durch OLG Düsseldorf, II-1 UF 148/14 für Deutschland und Polen. Inzwischen ist der Vater mit dem Kind nach Polen zurückgekehrt; dort haben ihm die zuständigen Gerichte die elterliche Sorge übertragen, und das wäre für ihn sicherlich schwerer gewesen, wenn er
- in Deutschland geblieben wäre und
- das Kind mit der Mutter in Polen (dann über längere Zeit) zusammen gelebt hätte.
4. Haben die Gerichte im Herkunftsstaat, die weiterhin über die elterliche Sorge entscheiden können, wenn sie international zuständig sind, einstweilige bzw. vorläufige Anordnungen und Regelungen zugunsten des Entführers getroffen und ihm (etwa) Sorgebefugnisse eingeräumt oder das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen, gehen OLG Stuttgart, FamRZ 2015, 1631 und OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 1627 davon aus, dass so mit einer Rückführungsanordnung durch die Gerichte im Zufluchtsstaat eine für das Kind „unzumutbare Lage“ geschaffen würde, so dass entsprechende Anträge von vornherein abzuweisen sind, um gerade sie zu verhindern und das Kind zu 2 schützen, Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ. Denn wenn der Entführer zur Rückkehr verpflichtet wäre, müsste der andere Elternteil im Herkunftsstaat ihm sofort wieder das Kind herausgeben, um seine Verpflichtungen aus den Entscheidungen zu erfüllen, die gegen ihn ergangen sind.
5. Vorläufige Anordnungen berechtigen nicht zu endgültigen Veränderungen, bei uns sonst auch bei § 1628 BGB von Bedeutung (Umzug mit dem Kind). Denn sie sind eben nur vorläufig/einstweilen getroffen. Gleichwohl sollte jeder Elternteil bei einem Verfahren in Deutschland – oder auch in einem anderen Staat – darauf achten, dass so nicht vielleicht doch Tatsachen geschaffen werden, die ihn dann später bei der Kindesentführung selbst in eine schwierige Ausgangssituation bringen. Denn so könnten etwa vergleichsweise Regelungen als Einverständnis oder nachträgliche Genehmigung zur Übersiedelung verstanden werden. Falsch wäre von vornherein, wenn Verhandlungsbereitschaft oder Einverständnis mit einem Mediationsverfahren schon als „Genehmigung“ gewertet würde.
6. Gegen Entscheidungen des Amtsgerichts im Rückführungsverfahren ist die Beschwerde statthaft. Für sie gilt § 40 IntFamRVG. Nach § 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG findet sie „zum Oberlandesgericht“ statt, aber die Bestimmungen verweisen noch auf das FGG, das in der Zwischenzeit aufgehoben ist. Nun gelten stattdessen §§ 58 Abs. 1, 64 Abs. 1, so dass sie beim Ausgangsgericht einzulegen ist, also beim Amtsgericht, das dann die Akten weiterzureichen und dem Oberlandesgericht vorzulegen hat, ohne etwa zu einer „Abhilfe“ berechtigt zu sein, dazu § 68 Abs. 1 S. 1 und 2 FamFG, vgl. AG Jena, 47 F 22/14, bestätigt durch OLG Jena, 3 UF 187/14.
7. Entführer sind inzwischen vorwiegend die Mütter, nicht (mehr) die Väter. Vätern steht andererseits durchgängig gemeinsam mit den Müttern die elterliche Sorge für das Kind/die Kinder zu. Das ändert aber nichts daran, dass weiterhin vorwiegend Mütter gerade für kleinere Kinder die wichtigere Betreuung in den ersten Lebensjahren leisten und so für Kinder besonders wichtig werden. Gleichwohl lässt das Abkommen eine offene Abwägung zwischen Rechten und Befugnissen der Eltern, insbesondere des verletzten Elternteils, und dem Kindeswohl nicht zu, sondern ordnet, wenn die Voraussetzungen im Einzelnen erfüllt sind, die Rückgabe des Kindes an. Art. 13 Abs. 13 und Abs. 2 HKÜ lassen nur seltene Ausnahme zu, wobei die Auslegung „streng“ sein soll, um die Ziele des Abkommens nicht zu gefährden.
8. Um im Rückführungsverfahren vielleicht doch Entlastung gerade für das Kind herzustellen, kann gerade bei der internationalen Kindesentführung Mediation wichtig werden, die in der Schweiz sogar zwingend „vorgeschrieben“ ist, während sie bei uns nur als Möglichkeit bereit steht, vgl. dazu insbesondere die Angebote von MiKK e.V., Mediation bei Internationalen Kindschaftskonflikten in
Berlin, erste Übersicht über die Arbeit dabei Paul/Walker, Spektrum der Mediation 2007, 44.

Inzwischen ist die Arbeit im Familienrechts-Berater 2016, 74 ff. erschienen.



Eingestellt am 17.01.2016 von Dr. Peter Finger
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